… wie virale Veränderungen in der lernenden Organisation initiiert werden
Sven Damm
Brainswork GmbH
Es mag zunächst kontraintuitiv klingen, doch Lernen im Sinne einer Veränderung des Handelns, kann für mich immer nur das Ergebnis von etwas anderem sein. Man plant Lernen nicht, es geschieht, während man sich mit der Welt auseinandersetzt. Um diese Perspektive zu verdeutlichen, möchte ich einen kurzen Abstecher zur Wissenschaft machen. Gemäß der folgenden Grafik unterscheiden sich hierbei drei Ebenen von Lernen: single-, double- und triple-loop learning.
Lernen geschieht immer bezogen auf ein Ergebnis
Alle drei Ebenen von Lernen erfolgen demnach immer auf ein Ergebnis bezogen. Solange wir mit dem Ergebnis zufrieden sind, gibt es keinen Grund, unsere Aktionen, Annahmen und den Kontext zu hinterfragen. Es findet schlicht kein Lernen statt. Vermutlich kennt das jeder von sich selbst. Es gibt Gewohnheiten, von denen man weiß, dass diese nicht gut sind und doch ertappt man sich immer wieder dabei. Auch wenn man auf kognitiver Ebene von den negativen Folgen weiß, so ist man doch in seinem Verhaltensmuster gefangen – das Ergebnis ist immer wieder das Gleiche, es findet dauerhaft kein Lernen statt.
Ohne Lernen sind starre Strukturen vorhersehbar
Für Organisationen kann das auf Dauer zu einem echten Problem werden, da Verhaltensweisen (Aktionen) sich verfestigen und Ergebnisse allgemein akzeptiert werden. Lernen wird immer schwieriger und starre Strukturen sind die Folge.
Ein Beispiel sahen wir in der Corona-Pandemie. Auch wenn die Möglichkeiten zum Home-Office bereits seit vielen Jahren rechtlich und technisch möglich waren, gab es kaum Gründe für die konsequente Umsetzung. Durch die geänderten Rahmenbedingungen war das Arbeiten in der bisherigen Form kaum mehr möglich. Es bedurfte eines anderen Weges, die Ergebnisse zu gestalten. Hier wurden Aktionen und vielmals auch bisherige Annahmen hinterfragt und es schnelles Handelns wurde nötig, um weiterhin am Markt relevant zu sein. Oder wie Microsoft-Chef Satya Nadella zuletzt gesagt hatte: „wir haben ein Ausmaß digitaler Transformation von zwei Jahren in zwei Monaten erlebt.“ Jetzt war ein guter Zeitpunkt für Unternehmen, nicht nur auf den notwendigen Wandel zu reagieren, sondern aktiv ein digitales Unternehmen zu gestalten.
Lernen kann durch Notwendigkeit und Sehnsucht getriggert werden
Wie die aktuellen Entwicklungen zeigen, ist Notwendigkeit ein großer Treiber von Lernen – sei es, weil andere Ergebnisse erwartet werden oder weil die Ergebnisse mit den bisherigen Aktionen nicht mehr zu erreichen sind.
Ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry verdeutlicht einen zweiten Aspekt von Lernen: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Gemeinsame Sehnsüchte und Wünsche können, neben der Notwendigkeit, ein weiterer enormer Treiber für Veränderungen sein. Vermutlich kennen die meisten Leser das Gefühl, Teil eines Teams zu sein und sich gemeinsam für etwas zu engagieren? Lernen findet hier automatisch in Bezug auf ein gemeinsames Ziel statt – man tüftelt, probiert Neues aus, bis man einen Weg gefunden hat, sein Ziel zu erreichen bzw. das Problem zu lösen. Viele der Innovationen unsere Zeit sind in solchen Prozessen eher zufällig entstanden. Manche innovativen Firmen beweisen, dass es sich lohnt, den Mitarbeitern mehr Freiraum für eigene Ideen einzuräumen.
Zwei Menschenbilder zum Thema ‚Lernen’
In den beiden Möglichkeiten ‚Notwendigkeit‘ und ‚Sehnsucht‘ haben wir auch die Wahl, wie eine Lernende Organisation gestaltet wird. Aus der Reflektion meiner Auslandserfahrungen erlebe ich, dass besonders in Deutschland der Management-Stil eher von der Notwendigkeit getrieben ist. Hierzulande wird oft von ‚müssen‘ gesprochen, das Handeln wird von ‚Effizienz‘ geleitet, die Ergebnisse fest im Blick. Um in dieser Dynamik eine ‚Lernende Organisation‘ zu gestalten, bedarf es der Vorgabe klarer gewünschter Ergebnisse, an denen das Lernen ausgerichtet wird. Laut Bain & Company ist das Benchmarking die beliebteste Management-Methode in Deutschland – hier wird als Ergebnis ein erstrebenswertes Ziel vorgegeben und das Lernen der Organisation wird daran ausgerichtet. Die Leitfrage hier ist: Was müssen wir als Organisation lernen, um die Benchmark-Werte zu erreichen. Das Lernen wird folglich auf den Ausgleich von Wissenslücken auf das Ziel hin konzentriert. Das Menschenbild im Management fokussiert sich auf die Aufarbeitung von „Defiziten“ der eigenen Organisation.
Meine persönlichen TOP 5 Lern-Killer-Fragen:
Ist es künftig genauso effizient?
Sind unsere Experten einverstanden?
Ist das methodisch korrekt?
Sind Sie dafür zuständig?
Woher nehmen Sie die Zeit?
Während meiner Zeit in den USA und Neuseeland habe ich eine andere Herangehensweise kennen gelernt, die davon getrieben ist, Kräfte zu bündeln. Die Sehnsuchtsfrage dahinter lautet: Was entsteht, wenn wir unser Wissen bündeln, um gemeinsam zu Lernen und etwas Neues zu erschaffen? Hier steht die ‚Effektivität‘ im Vordergrund, das spielerische, kreative Gestalten – ohne das Ergebnis vorab zu kennen. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es viel Vertrauen erfordert, sich auf einen solchen Prozess einzulassen, denn er ist in dem Sinne nicht berechenbar, sondern konfus und oft disruptiv. Wir laufen kontinuierlich gegen unsere blinden Flecken und sind gefordert, unsere Grenzen anzuerkennen und immer wieder neu auszuloten. Lernen entsteht hier im Aufgreifen neuer Perspektiven und dem Wachstum der eigenen Persönlichkeit. Gerade in den USA trifft diese Vorgehensweise auf einen Pioniergeist, der auch dazu ermutigt, die neuen Ideen aufzugreifen und neue Geschäftsmodelle zu testen. Das Menschenbild im Management fokussiert sich auf Opportunitäten.
Ein Beispiel hierfür ist das –, wie ich finde –, eindrucksvolle Ergebnis der von Microsoft-Chef Satya Nadella beschlossene Öffnung der Schnittstellen zu Open Source Software. In der Vergangenheit hat Microsoft die Strategie verfolgt, das eigene System geschlossen zu halten, um die User an das eigene System zu binden. Seit der Öffnung der Schnittstellen ist die Integration von Open Source Software möglich und Microsoft hat sich als Plattform positioniert, die verschiedenste Software-Lösungen integriert. Parallel dazu baut Microsoft Cloud-Kapazitäten auf, um die Daten zu speichern. Das Wort ‚Koopetition‘ – Kooperationspartner und Wettbewerber zugleich zu sein, wird in diesem Kontext häufig verwendet. Der wirtschaftliche Erfolg von Microsoft in den letzten Jahren spricht sein Übriges.
Digitalisierung verändert das Lernen
Was hat das alles mit einer lernenden Organisation zu tun? Hierfür möchte ich kurz auf den Wandel der letzten Jahrzehnte eingehen und auf zwei zentrale Themen eingehen: Die Industrialisierung und die Digitalisierung.
Die Industrialisierung ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat einen enormen Umbruch weg von Arbeiten auf dem Land hin zu der Arbeit in Fabriken und die Entstehung von Ballungszentren geführt. Prägende Merkmale waren z.B. der Bau der Eisenbahn und die Einführung von Fließbandarbeit. Arbeit wurde zunehmend in kleinere Teileinheiten aufgeteilt, um effizientes Handeln zu ermöglichen und Kosten zu sparen. Diese Vorgehensweise prägt noch heute die Logiken vieler Unternehmen.
Die Digitalisierung bringt seit einigen Jahren einen noch deutlicheren Umbruch mit sich. Globale Lieferketten waren eine Vorstufe, zunehmend verteilt sich Arbeit global und Teams mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Ländern erhalten Einzug in unseren Arbeitsalltag. Anbieter die Menschen miteinander verbinden, sogenannte Plattformen, erhalten immer mehr Marktmacht, während die Hersteller von Produkten in die Rolle der Zulieferer gedrängt werden. Im Kleinen hat man diesen Wandel in den letzten Jahren bereits in Supermärkten gesehen, die rund um die Listung von Artikeln eine Marktmacht innehaben. Mit dem Wachstum der Ketten (z.B. Lidl, Aldi) hat auch deren Marktmacht zugenommen. Doch während Supermärkte lokal begrenzten Einfluss hatten, haben digitale Plattformen keine regionale Limitation mehr und können global wachsen und den Einfluss ausbauen.
Während in der Industrialisierung das defizit-orientierte Menschenbild noch dazu geführt hat, die eigene Produktivität zu steigern und im Wettbewerb zu bestehen, ist dieses Menschenbild für die Digitalisierung ein absoluter Hemmschuh. Wer künftig im Wettbewerb bestehen möchte, sollte Begriffe wie Kooperation, gemeinsames Wachstum und persönliche Freiheit als zentrale Kulturelemente verankern. Die Gestaltung einer lernenden Organisation bedarf fruchtbaren Bodens, auf dem Lernen aufbauen kann und Vorbilder, von denen diese neuen Verhaltensweisen übernommen werden können. In Sinne des Lernens bedarf es der Offenheit, den eigenen Kontext zu hinterfragen (triple-loop-learning) und unsere Annahmen zu aktualisieren (douple-loop-learning).
Beginnen kann jede Führungskraft dabei, sich ihre eigenen Verhaltensweisen zu vergegenwärtigen bzw. mit einem Zukunfts-Coach zu reflektieren. Womöglich ist die Implementierung des Berufsbilds des „Behavioral Analysten“ bereits zielführend, um die zukunftsweisenden Verhaltensweisen zu forcieren. Lernen geschieht dann vielfach von allein – wie ein Virus, das die Organisation befällt.
Als persönliches Fazit möchte ich betonen, dass eine lernende Organisation immer nur das Ergebnis von einem kulturellen Wandel in einer gesamthaften Organisation sein kann. Diesen Wandel kann man auf unterschiedlichen Ebenen beginnen und gestalten. Der Einstieg für mich ist immer die individuelle Frage: Bin ich bereit, eine digitale Welt mit zu gestalten? Der Zeitpunkt ist immer der Richtige.