Stephan Reichel
HLP Beratungsweise

Der digitale Wandel verändert grundlegend die Vertriebsarbeit. Gewohnte Muster der Informationsgewinnung und in dem Aufbau und Pflege von Kundenbeziehungen sind nicht mehr effizient und funktionieren nur noch eingeschränkt. Die Fähigkeit sich zu verändern, neue Wege zu gehen und die Chancen zu nutzen werden zu Erfolgsfaktoren. Varianz wird zur Grundlage für Resilienz.

Was unterscheidet heute einen guten Außendienstvertriebsmitarbeiter von einem Erfolgreichen?

Norbert H. ist Gebietsverkaufsleiter für ein Unternehmen aus der Bodenbelagsbranche. Er verantwortet eine deutsche Metropolregion und hat über die Jahre das Umsatzvolumen von 800 Tsd. € auf 4,5 Mio. € gesteigert.

Vertriebler der Kategorie Norbert H. Sie machen den Unterschied und sind auch in schwierigen Märkten und Zeiten erfolgreich.

 Unternehmen, die Produkte für die Inneneinrichtung und den Innenausbau herstellen, wie Möbel, Bodenbeläge, Trennwände etc. haben verschiedene Wege der Distribution. Der traditionelle Weg geht über den Handel, der die Vertriebsfunktion zu den Endkunden übernimmt. Aber die Welt wird komplexer, der Markt transparenter und Kunden haben mehr Möglichkeiten, sich zu informieren. Für den Vertrieb der Hersteller bedeutet das, es reicht nicht mehr nur, den Handel zu betreuen. Er muss heute auch den kaufenden Endkunden und deren „Berater“ wie Architekten, Innenarchitekten, Bauingenieure, Elektroplaner, Workplace Consultants etc. in den Fokus nehmen.

Die Kontaktpunkte haben sich vervielfacht und die Entscheidung, welches Produkt gekauft wird, wird zu unterschiedlichen Zeitpunkten von unterschiedlichen Stellen getroffen, bzw. vorbereitet.

Diese Entwicklung bedeutet einen Paradigmenwechsel im Vertrieb. Er wandelt sich von einem klassischen Handelsvertrieb zu einem Netzwerkvertrieb, dem Objekt- bzw. Projektvertrieb.

D.h. nicht, dass der Handel nicht mehr wichtig ist, aber der Hersteller muss heute die gesamte Kette, der an der Entscheidung Beteiligten akquisitorisch bearbeiten.

Diese neue Herausforderung bedingt eine neue Organisation von Vertriebsprozessen und Handlungslogiken. Die erlernten, tradierten und prägenden Muster passen nur noch bedingt zur neuen Welt.

Die neue Herausforderung ist, dass diese neue Welt eine Welt ist, in der sich die Handlungslogiken, die Player, die Multiplikatoren und Ihre Rollen ständig ändern können und die zu gewinnenden Projekte unterschiedliche Entscheiderstrukturen haben.

Dies ist für eine Vertriebsorganisation eine permanente Herausforderung, die hohe Anforderungen, an das strategische Verständnis und die Fähigkeit flexibel zu reagieren und an die Neugierde stellt. Eine lernende Organisation wird überlebenswichtig.

Erkennbar in der Rollenänderung des Der Außendienstes in Objektvertriebsorganisationen. Traditionell war der Außendienstmitarbeiter der Kontaktpunkt zum Kunden, er ist draußen bei dem Kunden, holt Informationen ein und managt die Beziehung bis zum Abschluss.

In einer Objektvertriebsorganisation, die heute erfolgreich sein möchte, muss die Kundenbeziehung durch die vielen Kontaktmöglichkeiten auch vom Innendienst, wie auch vom Marketing aus einer Sales Perspektive gestaltet werden. Marketing und Innendienst müssen lernen, sich nicht mehr als Serviceabteilungen zu verstehen, sondern als Vertriebsabteilungen. Der Außendienst wiederum ist nicht mehr der reine Verkäufer, der die Verkaufserfolge zur Abwicklung in das Unternehmen delegiert, sondern er ist Netzwerkmanager, der auch seine Schnittstellen im Unternehmen koordiniert und in einem Team mit Ihnen agiert. Er muss lernen im Team erfolgreich zu sein.

Welche Vertriebsmitarbeiter sind in dieser Umwelt die Erfolgreichsten?

Neben den Eigenschaften wie positive Grundhaltung, Verträglichkeit, Neugierde etc., die vertriebsübergreifend für erfolgreiche und zufriedene Mitarbeiter wichtig sind, ist das Hauptkriterium eine besondere Art des Lernens.

Erfolgreichen Vertriebsmitarbeiter im Objektvertrieb sind permanent dabei, neues Verhalten auszuprobieren. Sie bauen sich – bewusst oder unbewusst – kleine Übungsräume auf, in denen sie neues Verhalten, neue Strategien etc. ausprobieren. Ist diese erfolgreich, wird es übernommen, ist es nicht erfolgreich, wird es verworfen oder leicht verändert wieder neu ausprobiert. Sie lernen durch Ausprobieren und nicht nur durch Beobachten. Hierbei sind sie sehr reflektiert und strukturiert. Sie haben Ihre eigenen Muster und reproduzieren Ihr Verhalten, aber sie stecken im Vergleich zu weniger Erfolgreichen, nicht tief in Ihren Spurrillen, sondern verfügen in ihrem Vorgehen über eine wesentlich höhere Varianz.

Man kann sagen, Sie lernen aus der Differenz. Dieses Muster kann nach Schöllhorn (Professor Uni Mainz) differenzielles Lernen genannt werden.  Es kommt aus der Bewegungswissenschaft und geht von dem Prinzip aus, dass es nicht möglich ist eine Bewegung identisch auszuführen und es immer zu Abweichungen kommt. Das bedeutet für die Trainingslehre, es ist nicht sinnvoll, Wiederholungen zu trainieren, sondern Fluktuationen und Schwankungen, um so den Lösungsbereich zu erweitern, um die Chance zu erhöhen eine erfolgreichere Lösung zu finden.

Allerdings ist der differenziell lernende und erfolgreiche Vertriebsmitarbeiter nur dann erfolgreich und seine Strategie funktioniert nur, wenn das Umfeld bzw. das Unternehmen ihm den Lernraum lässt und auch seine Schnittstellen wie Innendienst und Marketing ähnliche Lernansätze verfolgen. Die Durchlässigkeit ist hierbei entscheidend.

Der Lernraum eines Mitarbeiters wird auf der einen Seite durch den Möglichkeitsraum des Mitarbeiters bestimmt, das sind seine Fähigkeiten, Kompetenzen und Eigenschaften. Z.B. kann ein eher introvertierter Mitarbeiter nur beschränkt die Möglichkeit eines Vortrages vor einem größeren Publikum nutzen, er wird andere Veranstaltungsformen präferieren.

Zum anderen wird der Lernraum durch den von dem Unternehmen vorgegebene Handlungsraum bestimmt. Der Handlungsraum wird durch die Arbeitsanweisungen, die zugewiesenen Aufgaben, die Rolle, Erwartungen und die Unternehmenskultur bestimmt. Die Schnittmenge aus Möglichkeitsraum und Handlungsraum ergeben den Lernraum.

Der erfolgreiche Vertriebsmitarbeiter nutzt seinen Möglichkeitsraum bestmöglich und versucht außerdem, ihn permanent auszubauen.

Dieses Verhalten kollidiert jedoch immer wieder mit der Organisationsrealität, die den Handlungsraum bestimmt und damit den Möglichkeitsraum begrenzt. In erfolgreichen Unternehmen ist zu beobachten, dass die Schnittmenge zwischen Handlungsraum und Möglichkeitsraum sehr groß ist und das Lernen über differentielle Übungsräume in Richtung Markt geht.

Bei Unternehmen, die den Handlungsraum eng begrenzen (durch ein hohes Kontrollbedürfnis, dysfunktionale Performance Indikatoren, Übersimplifizierung, begrenzte Kommunikation etc.) fristet diese Art des Lernens ein Schattendasein und kann ihr Potential nicht ausschöpfen.  Hier richtet der Vertriebler seine Lernenergie nach innen, um die Grenzen des Möglichen zu verschieben und damit den Möglichkeitsraum zu erweitern. So beschäftigt sich das Unternehmen mehr mit sich als mit der Weiterentwicklung in Richtung seiner Kunden.

Das Prinzip differenzielles Lernen bedeutet auf der individuellen Ebene:

  • Vermeiden von Spurrillen
  • Permanentes Ausprobieren von neuem Verhalten und neuen Herangehensweise
  • In Frage stellen von Verhaltensmustern und deren Reproduktion

Für die Organisationsebene heißt das:

 

  • Vertrauen und Spielraum für die Mitarbeiter
  • Entwicklungsorientierte Führungskultur
  • Anpassungsfähige Geschäftsprozesse
  • Flache Strukturen
  • Performancemessung, die das Ausprobieren und die Neugierde belohnen und nicht nur den Fleiß.

Fazit

Erfolg hängt eng mit der Lernstrategie zusammen. Unternehmen, die den Raum zum differenziellen Lernen geben sind erfolgreicher und Ihre Mitarbeiter zufriedener und die Fluktuation sinkt.

Das Umsetzen einer differenziellen Lernstrategie ist nicht schwer. Es braucht Neugierde, Phantasie und Selbstreflektion. In Unternehmen, in denen das differenzielle Lernen etabliert ist, entsteht ein gemeinsamer Lernraum im dem sich Mitarbeiter über Ihre Erfahrungen austauschen, sich gegenseitig Feedback geben. Dieses Unternehmen sind gerade auch in Krisenzeiten resilienter als andere Unternehmen, aufgrund Ihrer höheren Verhaltensvarianz können sie flexibler agieren und auch auf ungewohnte Herausforderungen adäquater und vor allem schneller reagieren.

 Also ausprobieren: Übungsräume zu gestalten, braucht nicht viel Zeit und Energie, der Aufwand lohnt sich.