Michael Riedemann
HLP Compete GmbH
In immer mehr Bereichen des Lebens und Arbeitens wird die Natur als Vorbild gesehen. Bionik und Biomimikry beispielsweise verbinden Biologie und Technik zu neuen Lösungen in vielfältigen Anwendungsgebieten. Organisationen werden zunehmend weniger als ‚technisches Problem‘ sondern als lebendige, lernende Organismen verstanden, die sich flexibel an die Bedingungen und Bedürfnisse einer Umwelt anpassen, von der sie abhängen.
Anders als Organismen wachsen und gedeihen Organisationen nicht nach einem inneren Bauplan der Natur. Ihre Systeme und Subsysteme vernetzen und tauschen sich nicht von selbst miteinander aus, passen sich nicht aus sich heraus aneinander und an ihre Umwelt an. Was aber kann sie zum Leben erwecken – und als soziale Wesen am Leben halten?
Vom ‚Business as Usual‘ …
Stress. Sie werden gezwungen, ihre bislang nicht genutzten Ressourcen an Wissen und Lernfähigkeit zu mobilisieren, um unter den veränderten Umweltbedingungen zu überleben, Komplexität zu managen, zu wachsen und Werte zu schaffen.
‚Business as Usual‘, in der die Funktionen und Abteilungen mehr oder weniger voneinander getrennt, nebeneinander und für sich arbeiten, setzt die geforderten Potenziale nicht frei. Es müssen neue Formen der Kollaboration und des Lernens mit- und voneinander entwickelt werden. Lernen muss von der Einübung des „One Best Way“ wegentwickelt und als sozialer, konstruktiver, hoch-vernetzter Prozess der Veränderung neu gelernt werden. Wie aber kann dies in der Praxis aussehen?
… zum ‚Social Business‘
Das Konzept des Social Business nutzt interne Social Media-Plattformen, die neue Formen des organisationsübergreifenden, selbstorganisierten Lernens, der Interaktion und der Teilhabe ermöglichen. Im Vordergrund steht dabei nicht die Technologie, sondern Gestaltungselemente und Maßnahmen zur Vernetzung und Partizipation. Diese setzen auf Anreize, um klassische Abläufe, Strukturen und Aufgaben des Lernens durch informelles, beiläufiges und unbewusstes Lernen im Arbeitsalltag abzulösen. Ein Schlüssel ist hierbei unser angeborener Spieltrieb, durch den wir von Kindesbeinen an kulturelle Fähigkeiten entwickeln.
Social-Business-Plattformen bauen deshalb auf das Prinzip der „Gamification“. Dabei geht es nicht um unverbindliche Spielereien, sondern um effektivere und effiziente Vernetzung mit dem Ziel der Steigerung der Erneuerungs- und Leistungsfähigkeit von Organisation. Softwareseitig beinhaltet Social Business beispielsweise News, Chats zum schnellen Austausch zwischen mehreren Personen, Instant Messaging zum unmittelbaren Austausch zwischen zwei ‚Playern‘, Organisations-Wiki / Internes Wikipedia als kollaborative Wissensbasis und Stakeholderprofile.
Spaß an der Sache gewinnen – und behalten
Die Führung einer Organisation kann Spaß am vernetzten Lernen nicht verordnen, aber die Akzeptanz für Social Business fördern und die aktive Nutzung vorantreiben. Um ein anfängliches Interesse zu wecken und erste Kontakte mit der Plattform zu ermöglichen, können ausgewählte Mitglieder aus allen Bereichen der Organisation als Vorbilder und „frühe Nutzer“ (Early Adopters) fungieren. Das Persönlichkeitsprofil dieser internen ‚Influencer‘ ist idealerweise geprägt von Empathiefähigkeit, Status, Integration in die Organisation, geringerem Dogmatismus, positiver Einstellung zum Wandel, niedrigerer Risikoaversität und größerer Offenheit. Die Zusammensetzung spiegelt die Diversität der Organisation wider, damit die Initiative von Anfang an als etwas wahrgenommen wird, das aus den eigenen Reihen kommt – und keinesfalls nur aus einer Abteilung wie zum Beispiel der IT.
In einem weiteren Schritt werden die Plattform und ihre Anwendungen genutzt und bewertet. Für den Erfolg ist es wichtig, dass die Softwarekomponenten einen wahrgenommenen Nutzen vermitteln, einfach zu bedienen sind und vom Design her Spaß machen. Hierfür muss das Interface als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ein bestmögliches Benutzererlebnis bieten. Die Bedieneroberfläche muss intuitiv verständlich, so übersichtlich wie möglich und überzeugend gestaltet sein. So selbstverständlich dies klingt, so wenig ist dies besonders bei vielen Business-/ und Intranetlösungen noch der Fall. Hier gibt es noch deutlich Luft nach oben und viel Arbeit für die Gestaltung der User Interfaces und der User Experience (UI/UX-Design).
Win-Win Situationen schaffen
Wenn Spaß, Nutzen und Nutzerfreundlichkeit der Social Business-Plattform stimmen, gewinnen sowohl die Stakeholder als auch Organisation. Die Nutzer eines Wissensbereichs können im direkten, schnellen Austausch mit den „Playern“ eines anderen Wissensbereichs Probleme schneller lösen oder selbst Hilfestellung bieten. Die Belohnung sind im Idealfall unter anderem eine wahrnehmbar gesteigerte Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und Teams sowie mehr soziale Anerkennung in der Organisation.
Die dauerhafte Nutzung und erfolgreiche aktive Partizipation steigert die Motivation, das eigene Wissen in die Organisation einzubringen. Ideen „versanden“ nicht mehr so leicht in den Silos der Wissensbereiche und Funktionen. Auch wenn nach der 90-9-1-Regel aus der Social Media davon ausgegangen werden kann, dass 1% der Nutzer Beiträge verfassen, 9% gelegentlich aktiv sind und 90% passiv mitlesen, so ist damit schon ein großer Fortschritt gegenüber der Macht des Herrschaftswissens erzielt.
Vom Spiel zum Kulturwandel
Die steigende Akzeptanz und permanente Nutzung von Social Business in der Organisation ist nicht nur Indikator für einen Kulturwandel, sondern bereits gelebter Wandel an sich. Aus dem „Arbeiten oder Lernen“ wird „Lernen beim Arbeiten“. Die Stakeholder werden nicht in Intervallen aus den Arbeitsprozessen herausgenommen, um über etwas „belehrt“ zu werden (Wissen, das aufgrund der Darbietung sowie der zeitlich-räumlichen Distanz zwischen Schulung und Arbeitspraxis wieder verloren gehen kann). Lernen wird zum sozialen und konstruktiven Prozess, an dem alle teilhaben und Anerkennung ihrer Lernleistung finden können.
Die Nutzung von Social Business fordert allerdings der Führung und den Mitarbeitern einiges ab. Führungskräfte müssen damit leben, dass Mitarbeiter direkt über alle Ebenen hinweg mit ihnen interagieren. Führungs- und Fachkräfte müssen den Mut aufbringen, auch „unfertige“ Ideen per Beitrag in die Diskussion einzubringen, indem sie es auf der Plattform sichtbar machen. Das partielle Nichtwissen darf nicht als das Eingeständnis von geringerer Kompetenz gesehen, sondern als Einladung zur Mitarbeit an neuen gemeinsamen Lösungen verstanden werden. Ein Wandel der Kultur erfolgt hier schrittweise.
In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, wie negative Social Media-Effekte durch Moderation und Management verhindert werden kann.
Kollege Roboter“ – Freund oder Feind?
Im Social Media-Bereich ist die Anwendung von Künstlicher Intelligenz bereits Realität. Sie leistet bei der Kommunikation, der Inhaltserstellung, der Erfassung, Auswertung und Interpretation wichtige Hilfe. Nutzer bekommen die Chance, die Flut der Daten (Big Data) zu erfassen und für das eigene Lernen zu nutzen.
Es gibt bereits Unternehmen, die mit der Anwendung von KI in der Unternehmenskommunikation und im eLearning experimentieren. Algorithmen helfen bei der Analyse und Strukturierung von Daten, der multilinguale Kommunikation (Deep Learning-Translators), bei standardisierte Teilaufgaben, mit Chatbots bei der Kommunikation, bei der Erstellung von Standardtexten. Der Kollege Roboter ist oft schon Wirklichkeit. Bei Aufgaben, die Kreativität und Empathie erfordern, zeigen sich aber noch seine Grenzen.
Die Entwicklung allerdings zeigt, wie schnell KI in vielen Bereichen lernt und in einigen Feldern Menschen sogar überflügeln kann. Umso wichtiger wird es sein, für den Einsatz in Organisationen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Maschinen uns dienen – und nicht umgekehrt. Für die Akzeptanz der „Kollegen Roboter“ wird es wichtig sein, die Grenze zwischen digitalen Helfern und Menschen wahrnehmbar zu machen. Maschinen sollten – zumindest in einigen Kulturkreisen der Welt wie z.B. Europa – keine Menschen-Imitate sein, um nicht weitere Ängste und Vorbehalte auszulösen und zu bestätigen.
KI: Ein neues Organ im Organismus der Organisationen
Besonders im Zusammenhang des organisationalen Lernens das muss Thema KI sehr sensibel behandelt werden, um nicht bereits aufgebautes Vertrauen in neue Technologien zu zerstören. Dennoch ist es wichtig, sich dem Thema KI zu stellen und dieses intensiv und konstruktiv zu diskutieren. Denn es ist längst keine Vision mehr, sondern Realität in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen. Die Technologie ist für selbstlernende Systeme ausgelegt und wird sich auf ihrem weiteren Weg nicht vom Lernen abhalten und aufhalten lassen. Organisationen hingegen werden lernen müssen, mit ihrer Hilfe unsere natürliche Lernfähigkeit zu steigern.
Künstliche Intelligenz kann die Rolle eines neuartigen Organs im Organismus der Organisationen spielen. Wenn der Mensch und seine Bedürfnisse weiterhin die Oberhand behalten.